Ferat Koçak zum heutigen Urteil im Prozess um rechten Terror in Neukölln
Zur heutigen Verurteilung der Verdächtigen der rechten Terrorserie, dem sogenannten “Neukölln-Komplex” erklärt Ferat Koçak, Betroffener eines Brandanschlags auf das Wohnhaus seiner Familie im Februar 2018:
“Trotz der Blockadehaltung von Verfassungsschutz und vorheriger Staatsanwaltschaft gibt es nun eine Verurteilung. Das ist auch ein Verdienst der zähen und unnachgiebigen Arbeit der Betroffenen. Auch wenn eine gewisse Erleichterung da ist, stellt sich für mich und andere Betroffene die Frage, warum ein solcher Prozess sich fast sieben Jahre hinziehen muss, vor allem, weil sich die Beweismittel in dieser Zeit nicht geändert haben. Klar bleibt auch: Dieser Fall ist einer von vielen und es gibt inzwischen so viele Fälle unaufgeklärter rechter Gewalt in Deutschland, dass das Vertrauen in die sogenannten Sicherheitsbehörden aufgebraucht ist. Ich will hier nur beispielhaft an die Ermordung von Burak Bektaş erinnern, die immer noch auf Aufklärung wartet. Für Antifaschist*innen bleibt sowieso klar: Wir werden uns weiterhin organisieren und solidarisch gegen die große Gefahr von Rechts zur Wehr setzen und uns niemals einschüchtern lassen!”
Koçak zieht nach dem jahrelangen Prozess auch eine allgemeine persönliche Bilanz:
“Ich bin unabhängig vom Urteil erleichtert, dass dieser Prozess nach fast sieben Jahren zu Ende gegangen ist. Jetzt können meine Familie und ich endlich anfangen, diesen Anschlag richtig zu verarbeiten. Die dauerhafte Belastung und Beschäftigung mit der Nacht des Anschlags und die Konfrontation mit dem Hauptverdächtigen standen einer wirksamen therapeutischen Aufarbeitung entgegen. Klar ist aber auch, dass dieser Prozess für mich persönlich eine Lose-Lose-Situation war, denn nach der Nacht des Anschlags entstand ein nachhaltiger Schaden für meine Familie und mich. Wir werden diese Nacht nie vergessen können. Die Angst bleibt, denn mit der Verurteilung steigt das Risiko von Racheakten aus der rechten Szene. Ich würde gerne angstfrei die Behörden auffordern, meine Familie weiterhin zu schützen, doch ihre unklare Rolle im gesamten Neukölln-Komplex hinterlassen einen bitteren Nachgeschmack. Zu oft wurde Ermittlungsarbeit verschleppt, zu oft gab es ominöse Querverbindungen zwischen rechter Szene und Polizei, zu oft gab es tendenziöse Äußerungen. Solange diese Versäumnisse nicht restlos aufgeklärt sind, wird es keine Sicherheit geben. Die These von Einzeltätern in dieser Terrorserie ist nicht haltbar und verharmlost die jahrelange rechte Terrorserie.
Ich begrüße, dass die Prozess-Akten nun endlich freigegeben werden und Gegenstand des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum Neukölln-Komplex werden. Der Untersuchungsausschuss bleibt ein Erfolg der Betroffenen, die seit so vielen Jahren für Aufklärung kämpfen.”