LINKE-Abgeordneter äußert Kritik an weitreichenden Versammlungsverboten im Zusammenhang mit dem Nakba-Tag 2022

Ferat Koçak

Angesichts des 2023 anstehenden 75. Jahrestages der Nakba, der Vertreibung hunderttausender Palästinenser*innen aus ihrer Heimat, fragte Ferat Koçak (MdA, LINKE) in einer parlamentarischen Anfrage (19 / 14 493, pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/19/SchrAnfr/S19-14493.pdf) beim Senat ausführlich nach den in diesem Zusammenhang ergangenen Versammlungsverboten des vergangenen Jahres. Im Mai 2022 wurden in Berlin insgesamt fünf angemeldete Versammlungen zum Jahrestag der Nakba sowie in Erinnerung an die durch das israelische Militär ermordete palästinensische Journalistin Schirin Abu Akleh pauschal verboten.

Aus der Antwort auf die parlamentarische Anfrage geht hervor, dass die Polizei die Verbote mit Erfahrungswerten von “Versammlungslagen, denen ähnliche Themen sowie Ereignisse in Israel und in den palästinensischen Gebieten zugrunde lagen” begründet. Da die Polizei weder auf im Vorhinein bekannte Aufrufe zu Straftaten oder teilnehmende Organisationen als Gründe für ihre Gefahrenprognose verweist, scheint die Themensetzung also maßgeblich für die Versammlungsverbote gewesen zu sein, das heißt die Entscheidung der Anmelder*innen, der Nakba – einem historischen Ereignis von existenzieller Bedeutung für viele Berliner*innen – beziehungsweise einer ermordeten Journalistin zu gedenken.

Ferat Koçak kritisiert die schweren Eingriffe in die Versammlungsfreiheit:
“Auch aus der Antwort der Innenverwaltung geht für mich keine stichhaltige Begründung hervor, warum rund um den Nakba-Jahrestag ein komplettes Demonstrationsverbot für Menschenrechte in Palästina und Solidarität mit Palästinenser*innen bestand. Es kann nicht sein, dass dieses Grundrecht allein basierend auf Erfahrungen mit Versammlungen zu “ähnlichen Themen”  so schwerwiegend eingeschränkt wird.”

Die Polizei hat aus Koçaks Sicht zudem nicht ausreichend andere versammlungsrechtliche Mittel ausgereizt, um friedlichen Demonstrant*innen die Meinungsäußerung zu gewährleisten.

“Dass Antisemitismus bekämpft werden muß, steht außer Frage. Niemand will antisemitische Äußerungen auf Demos, auch die Veranstalter*innen der Nakba-Demos haben genau das im Vorfeld bekräftigt, ebenso wie den Wunsch zum friedlichen Demonstrieren. Die Polizei hat wiederum im Vorfeld und während der Demo eine Reihe von Maßnahmen, die weit unter einem Verbot der ganzen Versammlung liegen, um beispielsweise verfassungswidrige Äußerungen oder Gewaltaufrufe zu unterbinden. Stattdessen wurden z.B. auch jüdischen Gruppen im Umfeld der Nakba und der Ermordung Shirin Abu Aklehs Versammlungen verboten, ein unfassbares Vorgehen, insbesondere wenn wir bedenken, dass Nazis immer wieder geschützt von der Versammlungsfreiheit ihre Menschenverachtung problemlos auf die Straßen tragen.”

115 Menschen wurden am 15. Mai 2022, ironischerweise “aufgrund des Verdachts eines Verstoßes gegen das Versammlungsfreiheitsgesetz” von der Polizei festgehalten, 25 erhielten saftige Bußgeldbescheide von rund 330-380 Euro.

“Für mich ist dieses Vorgehen eine traurige Konsequenz der jahrelangen Repression von Menschen und Gruppen in Deutschland, die sich für Menschenrechte in Palästina einsetzen. Heute sind es Palästinenser*innen, morgen werden Proteste für Menschenrechte von Kurd*innen verboten. Wo soll die Einschränkung der Grundrechte hinführen? Die Polizei muss für 2023 sicherstellen, dass freie Meinungsäußerung in diesem Kontext möglich ist und sie muss die Verfahren gegen alle Personen, die am 15. Mai am Hermannplatz und in der Pannierstaße ihr Versammlungsrecht wahrnehmen wollten einstellen.”